29.03.2011 00:23„Wenn das Zeug bis morgen nicht von den Wänden ist, lasse ich es abhängen und im Hof mit Benzin übergießen“. Der Münchner Gauleiter Adolf Wagner geriet in Rage, als er 1934 die expressionistische Bilderschau Friedrich Ludwigs im Münchener Kunstverein betrachtete. Man musste in der Tat kein Kunstexperte sein, um etwa in dem „Mädchen mit den blonden Zöpfen“ eine Karikatur des „arischen“ Frauenideals zu wittern.
Friedrich Ludwig, ein Maler aus dem Kleinen Wiesental, geboren 1895 im Schwarzwalddorf Wieslet, rund 30 Kilometer von Basel entfernt. Ein schier grenzenlos vielseitiger Künstler war er, ein Lebenskünstler und Bohemien, der sich lieber von „alten Haferflocken“ ernährte als Bilder an Leute zu verkaufen, die er nicht mochte. Eigensinnig und mit höchsten Ansprüchen an sich selbst ging er seinen künstlerischen Weg und fand allein im künstlerischen Schaffen Erfüllung. Dennoch blieb er ein Zerrissener. Mit dem Ausstellungsverbot im Jahr 1934 wurde er zu einem Verfemten, der das Gefühl, ein Außenseiter zu sein, verinnerlichte. 1970 starb er in einer „Nervenheilanstalt“. Im Jahr zuvor hatte sich sein Sohn Michael mit nur 13 Jahren das Leben genommen.
Obschon man heute viele Details aus Ludwigs Biografie kennt: sie enthält immer noch mehr Lücken als Gewissheiten. Nach seinem Tod fiel Ludwig in Vergessenheit. Ebenso die rund 4.500 Bilder, die er während ganz unterschiedlicher Schaffensphasen (und -krisen) malte. Lange war sein Name in keinem Nachschlagewerk verzeichnet. Doch das hat sich geändert. Mehrere „glückliche Zufälle“ kamen zusammen, um seinen verblassten Stern wieder zum leuchten zu bringen.
Wenn sich Dr. Hans Viardot, der frühere Landarzt des Kleinen Wiesentals, an die Wiederentdeckung Ludwigs zurückerinnert, verwendet er gerne den Begriff „Märchen“. Viardot und andere Kunstinteressierte hatten 1991 die ehrenamtliche Initiative „Kunst und Kultur im Kleinen Wiesental“ (KuK) gegründet. 1992 organisierten sie eine Ausstellung über Künstler des Kleinen Wiesentals und stießen dabei zum ersten Mal auf Bilder von Friedrich Ludwig. Einige Wiesleter, so stellte sich heraus, konnten sich noch persönlich an den „Ludwig-Moler“ erinnern. Die Farben seien ihm zu Kopf gestiegen, meinte eine Einwohnerin.
Was man in Wieslet damals nicht wusste: In einer ganz anderen Gegend hatte ebenfalls jemand Friedrich Ludwig wiederentdeckt. „Es war purer Zufall“, erinnert sich der Jurist und Verleger Prof. Sigurd Marien daran, wie er 1984 mit immer leerer werdendem Tank durch das Chiemgau fuhr. Dort, wo er sich eine Tankstelle erhoffte, war allerdings zwischenzeitlich eine Trödelhändlerin eingezogen. Marien fand an einem Barockschrank Gefallen, jedoch erklärte die Verkäuferin, sie müsse den Schrank erst leer räumen, da sich noch Leinwände „eines Irren“ darin befänden. Ihm habe ein kurzer Blick auf das expressionistische Bildgut genügt, erzählt Marien. Er kaufte die über 1.000 Werke, darunter etwa 400 Ölbilder. Eine Rettung in letzter Minuten übrigens, denn die Händlerin hatte die Leinwände ablaugen wollen.
Prof. Marien recherchierte lange über den damals so gut wie unbekannten Maler, machte schließlich dessen Witwe, die Märchenautorin Christel Jacobi, in Berchtesgaden ausfindig und kaufte von ihr den Nachlass Friedrich Ludwigs. Seither befinden sich rund 2.000 Werke im Besitz der Familie Marien bzw. der Marien Family Group. In der Zeitschrift „Weltkunst“ feierte 1985 der Münchner Kunsthistoriker Reinhard Müller-Mehlis die spektakuläre Ludwig-Entdeckung als Sensation. Ludwig sei „ein Kolorist von hohen Graden, dessen Entdeckung nun nachzuholen ist“. Müller-Mehlis hatte Ludwig 1957 in München noch persönlich kennengelernt.
Seit 1992 fahndeten indes auch die Wiesleter Kunstfreunde von KuK nach Friedrich Ludwig. Und nach einem Professor, der angeblich viele Ludwig-Bilder aufgekauft habe. 1996 hatten sie ihn endlich ausfindig gemacht. Im September 1996 empfing Prof. Sigurd Marien die Abordnung aus Wieslet in Traben-Trarbach an der Mosel. „Wir waren erschlagen und glaubten zu träumen“, erinnert sich Hans Viardot an die ersten Eindrücke von der farbgewaltigen Bilderflut, unter der sich übrigens auch so manche Ansicht aus dem Kleinen Wiesental fand. Und so nahm die Geschichte, die Viardot das „Ludwig-Märchen“ nennt, ihren Lauf.
Die Leihgaben der Marien Family Group machten es möglich, dass KuK 1999 das Friedrich-Ludwig-Museum im leer stehenden Wiesleter Pfarrhaus eröffnen konnte. Das kleine, liebevoll gestaltete Kunstdomizil entwickelte sich zum Kleinod in der regionalen Museumslandschaft. Zehn Jahre lang betrieb KuK das Haus mit viel Idealismus und Engagement, ganz ohne öffentliche Zuschüsse. Rund 16.000 Besucher wurden in dieser Zeit gezählt. „Weil uns Nachwuchskräfte fehlen“, erklärt Hans Viardot, hat der Verein die Museumsarbeit vor kurzem aufgegeben. Prof. Sigurd Marien entschloss sich, das Haus vorläufig weiter zu betreiben.
„Friedrich Ludwig wird seinen Weg machen“, ist sich Hans Viardot sicher. Ludwigs Biografie zu erforschen, bleibt derweil für Sigurd Marien und viele Ludwig-Fans auf der ganzen Welt eine höchst spannende Aufgabe. Dass der Maler ein rast- und ruheloses Leben führte, weiß man inzwischen. Den ihm gebührenden Rang in der Kunstgeschichte konnte Ludwig noch nicht einnehmen. Zum Teil, auch das weiß man heute, stand er seinem Erfolg selber im Wege. Zeitlebens weigerte er sich standhaft, Gefälligkeiten oder Geschenke jedweder Art anzunehmen. Zudem fiel es ihm schwer, sich von seinen Bildern zu trennen, wiewohl er, wenn er nichts mehr zu essen oder keinen Schlafplatz hatte, bereitwillig alles verschenkte.
Wer aber war Friedrich Ludwig?
Geboren wurde er 1895 als neuntes von 17 Kindern. Die Bauernfamilie lebte in bescheidenen Verhältnissen. Fünf der Geschwister starben im Säuglingsalter, vier weitere in jungen Jahren. Als Kind habe ihn der Anblick von Rembrandt-Drucken „seltsam erregt“, berichtete er einmal. Doch eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen schien unmöglich. So absolvierte er in Schopfheim eine Ausbildung zum Dekorationsmaler, nahm danach ein Angebot, in Zürich als Dekorateur zu arbeiten, mit Freuden an. Erst jetzt eröffneten sich künstlerische Perspektiven. Ludwig entschied sich für ein Studium an der Frankfurter Städel-Schule, an der er auch Max Beckmann kennen lernte, bereiste zudem erstmals italienische Städte und begeisterte sich für die Quattrocentisten. Fast fluchtartig brach er 1920 nach Paris auf, wo die renommierte Académie Julian den Hochtalentierten ohne weiteres aufnahm.
Zwar lebte er meist am Existenzminimum, doch schien ihn das nicht zu kümmern: er genoss das Aufgehobensein in der freiheitsliebenden und individualistischen künstlerischen Bohème, die sein Werk ebenso bestätigte wie beflügelte. Ludwig war mit Ernst Ludwig Kirchner befreundet, verkehrte während seiner Deutschland-Aufenthalte im „Badenweiler Kreis“ um René Schickele, Annette Kolb und Emil Bizer. Nach Einschätzung von Müller-Mehlis schuf er in dieser Zeit „eine Vielzahl von Bildern, die in der europäischen Kunst der Zeit nach Cézanne neben den deutschen Expressionisten den eigenen Weg des Einzelgängers bezeugen“. Weggefährten charakterisieren ihn als hochintelligent, überaus höflich und zuvorkommend, immer gepflegt auftretend, aber äußerst eigensinnig. Bekannt ist, dass er Picasso begegnete, jedoch lässt sich über einen vermuteten Briefwechsel zwischen den beiden derzeit nur spekulieren. Indes werden von verschiedenen Seiten immer neue Puzzlestücke zum fragmentarischen Bild Ludwigs geliefert, ein Werk, ein Brief oder die Erinnerung an eine persönliche Begegnung. „Wir freuen uns sehr über jeden neuen Hinweis zu Friedrich Ludwig“, betont Prof. Marien.
Ludwig war auf dem besten Wege, sich einen Namen in der Kunstszene zu machen, als das Ausstellungsverbot von 1934 die Hoffnungen des aufstrebenden Künstlers zerschlug. In einer „Nacht- und Nebelaktion“ konnten er und sein Freund Carl Conrad Hofer die Münchner Bilder fortschaffen und auf Hofers Dachboden bei Bad Reichenhall verstecken. Bis zu seinem Tod kümmerte sich Ludwig nicht mehr um diese Bilder - sie lagerten zwischen Staub und Taubendreck, bis das Haus nach Hofers Tod entrümpelt wurde und die Bilder in den Trödel wanderten. 1935 hatte Ludwig zwar noch eine Ausstellung in der Galerie Neupert in Zürich, doch sollte er nun vollends zu dem „im Tiefsten heimatlosen Zugvogel“ werden, als der ihn der Zürcher Kunsthistoriker Werner Y. Müller einmal beschrieb, „nirgends sesshaft als in seinen Künstlerträumen“. Das politische Klima und die damit einher gehenden gesellschaftlichen Veränderungen manifestierten sich in seinen Bildern. Mitten aus seinen idyllischen Landschaftsbildern lugten nun argwöhnische, nicht selten beängstigende Gesichter hervor. Der Schöpfer dieser Bilder reiste dabei durch halb Europa, weilte in Amsterdam, Bayern, Florenz, Zürich, Ascona, Bad Reichenhall, wo er seine grandiose Serie „Blauer Berge“ malte, wurde schließlich zum Grenzdienst auf die Insel Reichenau einberufen.
Ihm, der jüdische Mädchen gemalt hatte, erteilten die Amerikaner nach Kriegsende zwar uneingeschränkte Malerlaubnis, doch jetzt gehörte er zur „verlorenen“ zweiten Generation der deutschen Expressionisten, war kaum mehr gefragt. Dennoch ist Ludwigs späteres Werk (wiewohl er kaum Menschen mehr malen wollte) von faszinierender Ausdruckskraft, vor allem seine surreal anmutenden visionären Bilder mit ihrer unwirklichen Farbgebung und charakteristischen „Verwaschenheit“ - Zeugnisse der beklemmenden, sich ganz in Farben auflösenden „zweiten Welt“, in der er ab einem gewissen Zeitpunkt lebte. Reinhard Müller-Mehlis äußerte sich 1999 bei der Eröffnung des Wiesleter Museums euphorisch über Ludwigs spätere Kunst: „Vieles gehört zum Besten, was in Deutschland nach dem Expressionismus gemalt wurde“, sagte der Kunstkritiker.
„Ich glaube aber“, prophezeite Werner Y. Müller schon 1957, „dass die Zeit kommen wird, wo man die Bilder von Friedrich Ludwig sucht und in ihrer ganzen Schönheit erkennt und ehren wird“. Der Kunstexperte sollte Recht behalten. Das Friedrich-Ludwig-Museum zeigt einen markanten Querschnitt durch das umfangreiche Werk - angefangen bei den Arbeiten aus der Pariser Akademiezeit, in denen sich die Einflüsse der französischen Kunst und vor allem des Kubismus erkennen lassen, dann die wichtigen Werke des expressiven Realismus, die Landschaftsbilder von den unterschiedlichen Stationen seines ruhelosen Lebensweges, Akte, Portraits, das charakteristische Spätwerk und vieles mehr von Friedrich Ludwig, der sich keinem Stil, keiner Technik je verschlossen hat.
Die Öffnungszeiten sind immer am ersten Samstag und Sonntag eines Monats von 11 bis 17 Uhr.
Quelle: Friedrich-Ludwig-Museum